Eröffnungstext zur der Ausstellung 'Volumetrische Malerei' im E-Werk Freiburg anlässlich der Vernissage  am 3. März 2013
Von Dr. Heike Piehler, Leiterin E-WERK Freiburg
Birgitt Fuchs – geboren in Göttingen – verfügt über eine Ausbildung zur Grafischen Zeichnerin und arbeitete bis 1990 als Illustratorin, bevor sie ihr Kunststudium in Zürich und Freiburg absolvierte. Seit 2005 betreibt sie ein Atelier in Freiburg, fertigt kleinformatige Zeichnungen, Collagen und Acrylbilder ebenso wie großformatige Ölbilder. In jüngster Zeit hat sie die „Volumetrische Malerei“ entwickelt und erstmalig im vergangenen Jahr im Seitenraum des Kunstlabors ausgestellt. Dass sie damit den GEDOK Werkpreis gewonnen hat, freut mich sehr – und das war auch der Anlass für diese Einzelausstellung im E-WERK.
KONZENTRATION AUF „ARCHETYPEN“
In ihrem künstlerischen Werk kreist sie um die menschliche Figur, genauer um junge männliche Gestalten, die sie in prägnanten Posen erfasst: Als schwimmende oder – dem Wasser entrissen vor neutralem Hintergrund – als fliegende oder schwebende Figuren, als in sich zusammen gezogene, hockende Figuren, als mit hochgerecktem Arm aufrecht voranschreitende Figuren. Sie definiert bestimmte Typen, Grundformen, denen sie sich immer wieder annähert, „Archetypen“, die sie von allen Seiten untersucht, wiederholt, in Reihung bringt, zu Formationen anordnet und dann doch wieder isoliert und einzeln betrachtet. Sie wechselt dabei virtuos von der Zeichnung zur Malerei, von der kleinen zur großen Dimension und wieder zurück, den Blick immer fest auf diese Figuren gerichtet, und schließlich in die Medienkunst hinein. Ich möchte zunächst auf die großartigen Hinterglasbilder zur sprechen kommen, die Sie im Vorraum des Kunstlabors finden: In feinen Zeichnungen ritzt Birgitt Fuchs mit einer Nadel in zarter Linie und Schraffur ihre Figuren in schwarze oder weiße Acrylfarbe, die sie zuvor auf Glasplatten aufgestrichen hat. Ihre monochromen Graphiken hinterlegt sie mit farbigen Zeitungsbildern, wodurch sie ihnen eine zusätzliche Tiefe verleiht: In der Schichtung des Glases, der Zeichnung und den Durchblick auf eine darunter liegende, zum Teil nur erahnbare Motivik ziehen diese Bilder den Betrachter geradezu magisch an: Er muss sich nähern, um die Komposition der Einzelformen und die darunter liegenden Formen zu erkennen. Die Schichtung als räumliches Verfahren gewinnt in diesen Bildern von 2009 neben der klassischen Tiefenraumillusion, wie wir sie in früheren Werken ihrer Malerei finden, zunehmend an Bedeutung.
VERSIERTER UMGANG MIT RÄUMLICHKEIT
Neben der Konzentration ihrer Figurenwelt auf bestimmte Archetypen zeichnet ein anderes zentrales Moment das Werk von Birgitt Fuchs aus: Es ist ihr versierter und immer wieder an die Grenzen des Machbaren gehende Einsatz von Räumlichkeit. Sie entfaltet in ihren Werken eine beeindruckende Fülle an räumlichen Bezügen. Gehen wir von den Einzelfiguren aus: Sie haben zum einen eine eigene dreidimensionale Körperhaftigkeit inne, stellen selbst ein Volumen dar. Zudem setzen sie in ihren Posen Bewegungsimpulse in den sie umgebenden Raum: durch einen ausgestreckten Arm etwa oder einen ausgreifenden Schritt. In etlichen Werken ist zudem die Kontur der Figuren bewegt: Die Umrisslinien markieren keine klaren Abgrenzungen, keine fest umrissenen Körperteile, sondern zeigen Verwacklungen, Verdrehungen, Deformationen. Mitunter scheinen sie sich, betrachtet man die formen im Einzelnen, in dem sie umgebenden Raum gar aufzulösen. Birgitt Fuchs greift hier Detailformen von sich im Wasser bewegenden Gestalten auf, die durch die Brechungen der Wasseroberfläche ihre feste Körperhaftigkeit verlieren und in ihrer Kontur eine eigene Dynamik entwickeln. In ihren Serien der „Poolbilder“ hat sie sich speziell mit diesen faszinierenden Verfremdungen auseinandergesetzt. In verschiedenen Bildern greift sie solche Verzerrungen und Deformationen unmittelbar auf, entwickelt sie weiter, spielt in seriellen Reihungen verschiedene Variationen durch. Befremdlich, surreal muten diese Figuren an. Und doch versteht sie diese Formen weniger als Deformation, sondern vielmehr als Ausdruck der zugrunde liegenden Urform – denken Sie an die schwimmenden Jungen im Wasser. Ein anderer Aspekt der Räumlichkeit kommt durch die serielle, tiefenräumliche Aneinanderreihung ins Spiel: „Aufmärsche“ nennt sie selbst diese Kompositionen, in denen sich die Figuren in schier endlosen Wiederholungen aus dem Hintergrund herauslösen und sich nach vorn in den Raum schieben. In dieser Bewegungsrichtung strudeln sie in ihrer Spiralkomposition geradezu aus dem Bildraum heraus. In anderen Werken, besonders betont in den großformatigen Ölmalereien, marschieren sie nach vorn auf den Betrachter zu, drängen in die Sphäre des Betrachters hinein. Es ist nicht die klassische Tiefenraumillusion, die wir hier finden, mit einem Vorder- und Hintergrund, sie nimmt sogar dem Hintergrund jede Räumlichkeit, indem sie ihn monochrom und dicht malt. Es ist keine Räumlichkeit, die nach hinten ins Bild verweist, sondern eine, die nach vorn heraustreten möchte, aus dem Vordergrund des Bildes heraus in den realen Raum hinein. Genau dieser Bewegungsimpuls, diese Dynamik, veranlasste Birgitt Fuchs dazu, sich von der Malerei zu lösen und neue Formen der dreidimensionalen Bildgestaltung zu erforschen. Ihre Figuren und Formationen sollen sich möglichst frei im Raum ausbreiten dürfen, sich vollständig von der Zweidimensionalität der Bildträger lösen können, sich nicht mehr durch ihr Format begrenzen lassen. Verfolgt man ihren Weg, ist es naheliegend, dass sie in die digitalen Bildwelten überwechselte, sind doch genau dies neu errungene Eigenschaften der Medienkunst. Es ist ein Glück für sie, dass Birgitt Fuchs nicht auf marktübliche CAD-Programme angewiesen ist, denn diese bieten kaum Freiheiten für ihre künstlerische Handschrift, für ihre individuelle Bildästhetik, die sie mittels der digitalen Technik ja nicht aufgeben, sondern weiterentwickeln möchte. Sie machte genau das, was auch die Pioniere der Computerkunst getan hatten, die in den sechziger und siebziger Jahre auf den Plan traten, um neue digitale Bildwelten zu entdecken: Sie zog einen ausgewiesenen Softwarespezialisten zu Rate und entwickelte gemeinsam mit diesem in aufwändigen Studien schließlich ein ausgeklügeltes Verfahren, das ihrem Werk buchstäblich eine neue Dimension verleiht.
NEUE ENTFALTUNGSMÖGLICHKEITEN DURCH DIE NEUEN MEDIEN
Die digitalen Medien erlauben es der Künstlerin, räumliche Schichtungen und Drehungen im Raum in vollkommen neuer Weise zu entdecken und zu formen. Durch diese neue Technik lässt sich die dritte Dimension neu greifen: Das Bildfeld wird entgrenzt, der Betrachter kann – wie in einer Kamerafahrt – um die Figur herum gehen, sie von allen Seiten und in allen Drehungen erfassen. Es eröffnen sich ungewohnte Perspektiven, die Figuren können, der Schwerkraft entzogen, selbst von unten betrachtet werden, sie schweben nun schwerelos im schwarzen Raum. Die virtuelle Kamera – und mit ihr der Blick des Betrachters – kann sich von der Figur entfernen, sie aus Distanz betrachten, oder sich ihr immer weiter nähern, bis er schließlich in sie hinein dringt, die äußere Kontur durchbricht und ihr Innenleben erkundet. Im Verlauf der Kamerafahrt ist auch die Durchlässigkeit unterschiedlich eingestellt: So ist beispielsweise der Blick von außen auf eine noch wenig transparente Außenhaut gerichtet, die sich bei der Annäherung zunehmend durchsichtig erweist. Die ehemalige Illustratorin interessiert sich nicht für realistische Abbilder, sondern entwickelt eine neue Welt, legt im Inneren der Metafiguren neue, kleine Figuren frei, die auftauchen und wieder verschwinden. Der umgebende Raum wird nur als neutraler Raum bedeutsam, als Atmosphäre um die Figur herum, ohne selbst in irgend einer Weise gestaltet zu werden. Birgitt Fuchs verzichtet auf jegliche Kulisse und konzentriert sich ganz auf ihre Figuren – ein Weg, der bereits in ihrer Malerei und ihren Graphiken vorgezeichnet ist. Ihre neu entwickelte Technik der „Volumetrischen Malerei“ ist höchst anspruchsvoll: Wie im vergangenen Jahr in der Finalistinnenausstellung der GEDOK erstmals präsentiert, geht sie zunächst von einer mit herkömmlicher Modelliermasse plastisch geformten Figur aus – sie gibt ihren Archetypen Gestalt. Diesen Körper schneidet sie in zahllose Scheiben und gewinnt so die äußeren Konturen der dreidimensionalen Plastik für ihre weitere Arbeit. Die so gewonnenen Körperscheiben gestaltet sie farbig, betont etwa in hellem Orange eine Umrisslinie oder legt in dunkleren Tönen Flächen an, die durch einen entsprechenden Software-Algorithmus später in mehr oder weniger transparente Flächen verwandelt werden. Es ist eine Form des Gehirnjoggings, was hier geleistet wird, denn während die zweidimensionalen Schichten in Acrylfarbe oder auch mit Ölkreide einzeln farbig gefasst werden, muss sich die Künstlerin vor ihrem geistigen Auge die gesamte Figur vorstellen. Fehler sind nur durch den Austausch falsch angelegter Ebenen möglich, durch ein erneutes Ausmalen der jeweiligen Schicht auf manuellem Wege. Die so gestalteten Ebenen werden nun eingescannt und über eine eigens entwickelte Software digital neu zusammen gefügt – es ist die Geburtsstunde der fertigen Figur. Digitale Retuschen sind nun nicht mehr möglich, denn die Algorithmen lassen keine computergestützte Korrekturarbeit zu, wie dies etwa bei konventionellen Bildbearbeitungsprogrammen möglich wäre. Es werden lediglich die Parameter für die Transparenz der Flächen festgelegt, wobei die malerisch vorgegebenen Farbwerte nach Sättigung, Helligkeit und Kontrast rechnerisch analysiert werden. Ist die Figur schließlich gestaltet, kann die Reise des Betrachters beginnen, um die Figur herum und in sie hinein. Eine erste Arbeit – eine „Uraufführung“ zu dieser Ausstellung sozusagen – wird im vorderen der beiden Bunkerräume auf einem sog. Stereobildschirm präsentiert und ist durch 3D-Brillen tatsächlich dreidimensional erfahrbar. Lassen Sie sich auf diese neue Betrachtung ein, es lohnt sich! Im Kunstlabor ist zudem eine Gaze von der Decke herab gehängt, die ebenfalls dem immateriellen Charakter dieser Werke in besonderer Weise entspricht: Die Figur scheint im Raum zu schweben. Wir kennen diesen Ansatz bereits aus den früheren Werken: die Figuren wollen sich aus dem Bildfeld herauslösen, in den Raum des Betrachters hinein.   Liebe Birgitt Fuchs, diese Ausstellung ist in mehrfacher Hinsicht eine Überraschung:
Inzwischen hat Birgitt Fuchs insgesamt elf Figuren fertiggestellt, für jede hat sie 80 bis 100 Schnitte gestaltet – d.h. es liegen inzwischen etwa 1.000 Einzelblätter vor, von denen sie eine Serie in der vorderen Nische im Kunstlabor zeigt. Wie geht es weiter? Sie interessiert sich für die Kombination mehrerer Figuren mit Hilfe der neuen Technik, und: Es darf nicht zu perfekt werden, es geht keineswegs um technische Perfektion oder eine perfektionierte Illusion. Die Spuren der eigenen manuellen Arbeit sollen immer sichtbar bleiben. „Ich bin erst am Anfang“, meinte sie kürzlich – Wir dürfen also auch weiterhin gespannt sein. Meinen herzlichen Glückwunsch zu einer großartigen Ausstellung, ich schätze mich glücklich, dass ich zu der Werkentfaltung mit der Möglichkeit einer Einzelausstellung in den verschiedenen Räumen des Kunstlabors etwas beitragen konnte!

Meine sehr geehrten Damen und Herren, vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, ich wünsche Ihnen viel Vergnügen in der Ausstellung!